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Der erste "Volksgarten" in Deutschland
Ein Gastbeitrag von Ralf Mattern - 2. stellvertretender Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Wernigerode
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Wernigerode hat viele markante Gebäude: Ob das Gadenstaedtsche, das Krummel, das kleinste oder das Rathaus: Diese und viele
andere Häuser finden sich in den Fotoalben unzähliger Urlauber wieder. Ungeachtet von Touristen und auch den meisten Einhei- mischen
unbekannt wird am 20. August ein Gebäude 115 Jahre alt, das trotz seines ver- gleichsweise geringen Alters einen beachtlichen
historischen Hintergrund mit europä- ischer Bedeutung hat: Der Volksgarten. Das Haus auf dem Hof Ecke Feldstraße/- Schmatzfelder Straße
war das erste sogenannte "Volkshaus" der deutschen Sozialde- mokratie.
Nach dem Ende des "Sozialistengesetzes" 1890 begann im Deutschen Reich von den Sozialdemokraten die Planung für die Schaffung
von "Volkshäusern", "Volksparken" und Volksheimen". Im "Volkshaus" sollten die sozialdemokratischen Organisationen einen
gesicherten Ort bekommen, dort sollten Versammlungen stattfinden, eine Gastronomie sollte für preiswertes Essen und Trinken
sorgen. Nach Christoph Lehmann (Buch: "Die Zinnen der Partei", Vorwärts-Buchverlag, 2005) stellte das "Maison du Peuple",
das 1895 von der Sozialdemokratischen Partei Belgiens errichtet wurde, das "Muster für die in den folgenden Jahren ...
gebauten Volkshäuser" dar. Dass in Wernigerode bereits zwei Jahre zuvor ein solches Haus der Sozialdemokratie eingeweiht
wurde, war auf Nachfrage auch ihm, der zur Zeit Geschäftsführer der SPD-eigenen Parteihäuser ist, bisher nicht bekannt.
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Bereits die Maifeier 1893 wurde im "Volksgarten" ausgerichtet, weil die Wernigeröder Sozialdemokraten aufgrund de Einflussnahme
aus dem Schloss keinen hiesigen Wirt für die Feier gewinnen konnten. Den 1. Mai 1893 begingen die Wernigeröder deshalb dort
und verbanden dies mit der Grundsteinlegung am Abend. In den Grundstein wurden ein Ex- emplar des "Vorwärts", ein Exemplar der
Maifeierzeitung, die Mai-Nummer des "Wahren Jakob", ein Exemplar der Schrift "Die Zukunftsdebatten im Deutschen Reichstag", und
eine kurze von Albert Bartels verfasste Abhandlung über die Entwicklung der Organi- sation der Arbeiter vor Ort gesteckt.
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Die Partei fand auch für die öffentlichen Versamm- lungen zur Reichstagswahl 1892 keinen Versamm- lungsraum. Trotzdem erbrachten
die Wahlen einen Erfolg: Der Kandidat der Sozialdemokratie, Robert Dahlen aus Halberstadt, zog in die Stichwahl am 24. Juni.
Allerdings musste Robert Dahlen seine Wahl- versammlung im Rohbau des "Volksgartens" ab- halten.
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Einberufung einer Wählerversammlung in den späteren "Volksgarten"
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Das "Wernigeröder Tageblatt" schrieb dazu am 23. Juni: Eine öffentliche Wählerver- sammlung war für gestern Abend seitens des
sozialdemokratischen Wahlkomitees nach dem ehemaligen Schmelzer´schen Sägemühlen-Grundstück einberufen worden. Das Lokal,
wenn auch erst im Rohbau vollendet, machte einen recht guten Eindruck und ge- währte wohl 500-600 Personen Raum. Herr Maler
Bartels eröffnete die Versammlung um 8 1/2 Uhr und hieß die Erschienenen im neuen Lokal willkommen; er führte aus, daß den
Sozialdemokraten seitens der hiesigen Lokalinhaber ein Saal zur Abhaltung von Ver- sammlungen seit längerer Zeit verweigert
worden sei; hierdurch sein man veranlaßt worden, ein Grundstück zu erwerben und auf diesem das eigene Versammlungslokal
zu erbauen; er hoffe, daß sich die Genossen in demselben recht häufig zusammenfinden und recht wohl fühlen möchten und schloß
mit einem Hoch auf die Sozialdemokratie aller Länder.
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Am 20. August war der Bau des "Volksgarten" fertig gestellt. Das Lokal wurde von der Sozialdemokratischen Partei gebaut und war
deren Eigentum. Der "Volksgarten" war nicht gewerkschaftlicher Besitz. Die Einweihungsfeier wurde unter dem Ehrenpräsidium
des 78 Jahre alten Karl Auerswald, eines sozialdemokratischen Veterans aus Hasserode, eröffnet. Die Versammlung war nicht
öffentlich. Karten konnte man erwerben bei den sozialdemokratischen Aktivisten Wilhelm Niewerth, Hermann Spankow, Friedrich
Schildknecht und Albert Bartels. Robert Dahlen aus Halberstadt hielt die eigentliche Ansprache, nach einleitenden Worten von
Albert Bartels, der an die anfänglichen Schwierigkeiten beim Bau erinnerte. Dahlen sagte, dass Wernigerode als kleine Stadt
als erste ein aus Mittel der Parteiangehörigen errichtetes Volkshaus haben. Der Saal fasste 300 Personen, der Garten mehr als
1000 Personen. Die Verwaltung des Wirtschafts- betriebs lag in der Hand eines gebildeten Vereins, des "Verein Arbeitercasino
Wernige- rode a. H.". am 3. März 1894 bildete sich der "Sozialdemokratische Diskutierklub im Volksgarten" - ein Vorläufer des
SPD-Ortsvereins, der "sich die Aufgabe (stellte), das politische Wissen seiner Mitglieder zu erweitern, durch Abhaltung von
öffentlichen Ver- sammlungen und Diskusionsabenden in welchen politische Fragen erläutert werden sollten". Von den elf (ersten)
Mitgliedern des Klubs gehörten acht zu den Gründern des Ortsvereins im Jahr 1900.
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Am 15. Juni 1894 gründete sich der Arbeiter-Turn-Verein "Vorwärts". Solche Organisa- tionen im Umfeld der Sozialdemokratischen Partei
banden das Milieu an die Sozialdemo- kratie und stärkten letztlich den Zusammenhalt unter den sozialdemokratisch denkenden Leuten.
Dass das "Vereinslokal" des Turnvereins der "Volksgarten" war, war kein Zufall. In den kommenden Jahren war der Volksgarten
Mittelpunkt der Wernigeröder Arbeiter- bewegung und Ort unzähliger Veranstaltungen. Am 11. 11. 1900 traten die Sozialdemo- kraten
von Wernigerode im "Volksgarten" zusammen, um dem neuem auf dem Mainzer SPD-Parteitag beschlossenen Statut Rechnung zu tragen
und statt eines losen "Wahlver- eins" nun den SPD-Ortsverein zu gründen. Drei Monate später schlossen sich im "Volks- garten"
die 14 hiesigen Gewerkschaftsorganisationen mit ihren 600 Mitgliedern zu einem Gewerkschaftskartell zusammen. Ob zu den
Kommunalwahlen in Wernigerode, zur Rus- sischen Revolution 1905, zu den Reichstagswahlen, bei denen 1912 erstmal ein Sozialde- mokrat
den hiesigen Wahlkreis gewinnen konnte, oder zum Ausbruch des Ersten Welt- kriegs - stets waren im Volksgarten große Versammlungen.
Dass er irgendwann zu klein wurde, deutete sich bereits im Revolutionsjahr 1918 an: Der Arbeiter- und Soldatenrat, der sein
Domizil in der "Remise" fand, wurde im Volksgarten genauso gegründet, wie die Übernahme des "Wernigeröder Tageblattes" als
"sozialistische Tageszeitung" ab 1919 beschlossen wurde.
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Das Leben begann sich nach dem Ersten Weltkrieg nur langsam zu normalisieren, am 25 November teilte der "Volksgarten" mit,
dass der Betrieb wieder in vollem Umfang aufge- nommen wurde, und auch die Turner des Arbeiterturnvereins "Vorwärts" trafen sich
wieder.
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Das "Wernigeröder Tageblatt" konnte am 14. Januar 1919 über eine sozialdemokratische Veranstaltung vom 13. Januar berichten:
"Der "Sozialdemokratische Wahlverein" Wernige- rode hielt am Freitagabend im Volksgarten eine Mitglieder Versammlung ab, die so
zahl- reich besucht war, daß der große Saal die Teilnehmer nicht fassen konnte." Und so fand auch der 1. Mai 1919 nicht nur
im "Volksgar- ten", sondern auch im Kurhaus (dem "Stadtgarten") und dem "Fürst Bismarck" in Hasserode (später "Pfälzer Hof") statt.
"Im Volksgarten und im Kurhaus sangen der Gesangsverein "Liederbund" und der Frauen- chor, deren Vorträge lebhaften Beifall
hervor- riefen. Der Turnverein "Vorwärts" sorgte ebenso in beiden Lokalen für Unterhaltung durch seine turnerischen Vorführungen
und wurde herzhaft applaudiert. Im "Fürst Bis- marck" in Hasserode verschönte der Arbei- ter-Gesangsverein "Einigkeit" die Feier
durch seine Mitwirkung und erzielte dabei großen Beifall. Großen Beifall fanden auch die turne- rischen Leistungen von "Brüderschaft".
In all den Lokalen wirken dann noch 4 Radfahrer der "Solidarität", indem sie einen hübsch durchgeführten Reigen fuhren. Im
Kurhaus trug vor allem der Verein "Frohsinn" durch Aufführung dreier Einakte sehr zur Hebung der Stimmung bei." berichtete
das Wernige- röder Tageblatt.
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Das letzte bedeutende Ereignis, in dem der Volksgarten im Mittelpunkt der Geschichte stand, war die Niederschlagung des
Kapp-Putsches, der am 13. März 1920 in Berlin begann. Es war insbesondere die Wernigeröder SPD, die vor Ort die Aktionen gegen
den Putsch vom "Volksgarten" aus koordinierte, Versammlungen einberief und für Ruhe und Sicherheit sorgte. So wurde im
"Volksgarten" ein "Aktionsausschuß von 42 Mann mit einem engeren Ausschuß von 9 Mann (dazu je einen Vertreter des Magistrat, der
Ge- werkschaft und der politischen Partei) gebildet. Es sei der Wunsch der Arbeiterschaft, daß den Anordnungen dieses Aktionsausschusses
unbedingt Folge geleistet werden möchte. ...Gen. Salzwedel (der damalige SPD-Ortsvereinsvorsitzende) hob so dann hervor, daß
es der Wunsch der am Sonnabend abend im Volksgarten stattgehaltenen Veranstaltung gewesen sei, besonders auch darauf Rücksicht zu
nehmen, daß möglichst alle wirtschaftlichen Betriebe aus der Einwohnerschaft mit je einem Vertreter zu dem Aktionsausschuß
herangezogen werden möchten, denn nur auf diese Weise sei es möglich, Beschlüsse zu fassen, die Wernigerode vor Unruhen und Wirren
bewahren. Diesem Wunsch wurde entsprochen und seitens der Berufsgruppen ... Vertreter be- stimmt, die mit ihrer Zahl der Zusammensetzung
des 12gliedrigen engeren Aktions- ausschusses der Arbeiterschaft entsprechen und mit diesem den engeren Aktions- ausschuß der
Einwohnerschaft bilden." , schrieb das "Wernigeröder Tageblatt".
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Am 14. März um 15.00 war eine Volksversammlung im "Volksgarten" geplant. Der Zustrom war aber so groß,dass der Saal nicht
ausreichte und deshalb wurde beschlos- sen, zum Kurhaus zu marschieren. Auch der Kurhaussaal war überfüllt. Hierzu schrieb das
"Wernigeröder Tageblatt": Als erster Redner ergriff Genosse Steigerwald das Wort... Am 9. November galt es, der Revolution
zum Sieg zu verhelfen, heute geht es um Sein oder Nichtsein des ganzen des deutschen Volkes. Die Wernigeröder Arbeiterschaft
hat durch ihr Erscheinen bewiesen, daß sie geschlossen hinter der Regierung Ebert/Bauer steht (stürmischer Beifall)."
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Die Vereinigung der 1919 in Wernigerode gegründeten USPD mit der SPD erlebte der Volksgarten nicht mehr als Haus der
Sozialdemokratie. Während sich in Deutschland die USPD und die SPD erst Mitte 1922 annäherten und im Herbst 1922 vereinigten,
geschah in Wernigerode die Vereinigung der Parteien bereits in den ersten Tagen des Monats Januar 1921. Am 13.01.1921 wurde
der Zusammenschluss von USPD und SPD in Werni- gerode im alten "Schützenhaus" an der Flutrenne (vor dem heutigen Kino
"Volkslicht- spiele")
vollzogen. Am 19.01.1921 berichtete das "Wernigeröder Tageblatt" von der ersten gemeinsamen Versammlung von (ehemaliger)
USPD und SPD im "bereits verkauften Volksgarten". Demnach wurde bereits vor dem 18. Januar 1921 der "Volks- garten", das erste
Parteilokal der deutschen Sozialdemokraten, veräußert. Gleichzeitig wurde das "Monopol" (heute AOK-Gebäude am Westerntor)
von den hiesigen Gewerk- schaften gekauft und fortgeführt unter den Namen "Gewerkschaftshaus Monopol GmbH". Dieser Kauf gilt als
der erste Hotelbesitz deutscher Gewerkschaften überhaupt. Gewerkschafter und Parteimitglieder konnten Anteilsscheine erwerben.
Die Einweihung des "Monopol" (in dem die SPD ihre Büros hatte) fand am 23.01.1921 statt.
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Zu DDR-Zeiten waren im Volksgarten Teile der Stadtwirtschaft. Heute wird das Gebäude von seinem Besitzer als Lagerhalle
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Quelle:Fotoarchiv Oemler
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Der "Volksgarten" zu seinem 100.Geburtstag im Jahr 1993
Quelle:Foto Weinrich Abbruch GmbH)
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Quellenangabe:
"Die schwarze Grafschaft ist rot!" oder "..die im Stande sind, alle Dinge nüchtern, kühl und sachlich zu betrachten!"
- Die Chronik der Wernigeröder Sozialdemokratie 1848-2005 (Broschiert, 632 Seiten)
von Ralf Mattern (Autor)
Verlag: Books on Demand GmbH; Auflage: 1 (September 2005)
ISBN-10:3833435216
ISBN-13:978-38334355218
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Der "SPD-Ortsverein Wernigerode"
Über diesen Link ist, für eventuelle Fragen, auch Herr Ralf Mattern zu erreichen.
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